Auswertungstext der GG/BO-Soligruppe Jena
Als Jenaer Soligruppe für die Gefangenengewerkschaft haben wir den Hungerstreik der Gefangenen in der JVA Butzbach vom 1. bis 11. Dezember 2015 aktiv unterstützt. Wir wollen im Folgenden eine Auswertung dieses Kampfes aus dem Jenaer Blickwinkel vorlegen und unsere Perspektiven für den weiteren Aufbau der Gefangenen- und gefangenensolidarischen Bewegung ausformulieren.
Knast und gefängnis-industrieller Komplex
Das Gefängnis ist eine der wichtigsten Institutionen sozialer Kontrolle, Disziplinierung und Repression in modernen kapitalistischen Gesellschaften. Rebellische und widerständige Arbeiter_innen und Abweichler_innen (egal ob „politisch“ oder „sozial“) werden weggesperrt und sollen hinter Gittern isoliert, gebrochen und auf Linie gebracht werden. Gleichzeitig besteht für den Rest der Gesellschaft ein immerwährendes Drohpotenzial. Im Knast konzentrieren und bündeln sich die Disziplinar- und Überwachungs-Mechanismen, die wir schon aus der „Freiheit“ der Knastgesellschaft kennen. Das Gefängnis ist also ein zentrales Werkzeug in der Verwaltung des Kapitalismus und der gesellschaftlichen Widerstände.
Gleichzeitig können wir seit den 1970er Jahren verfolgen, wie sich das Kapital zur Bewältigung seiner dauerhaften Reproduktionskrise zunehmend auch die gefangene Arbeitskraft erschließt und sich so nach dem Vorbild der USA ein gefängnis-industrieller Komplex ausbildet. Seit 1977 besteht in bundesdeutschen Gefängnissen Arbeitspflicht und seit 1996 wurden in der BRD fünf teilprivatisierte Knäste aufgemacht. (Wovon einer wiederverstaatlicht wurde.) Die inhaftierten Arbeiter_innen stellen für das Kapital eine extrem billige und rechtlose Arbeitskraft dar. Zusätzlich dienen sie als flexible industrielle Reserveearmee und können je nach Konjunktur zur Arbeit gezwungen oder in die Arbeitslosigkeit entlassen werden.
Die neue Gefangenenbewegung
An der gemeinsamen Klassenlage der inhaftierten Arbeiter_innen (und weniger an der allgemeinen Knastkritik) setzt die Gefangenengewerkschaft/Bundesweite Organisation an. Sie wurde im Mai 2014 in der JVA Tegel als „autonome basisnahe Gewerkschaft der Gefangenen“ gegründet und hat sich seitdem auf Knäste in der gesamten BRD und sogar nach Österreich ausgebreitet. Dabei sind ihr Hunderte von migrantischen und einheimischen Gefangenen aus Männer- und Frauen-Gefängnissen beigetreten. Der Aufbauprozess der GG/BO bedeutet nichts weniger als die Entstehung einer neuen klassenkämpferischen Gefangenenbewegung, die sowohl in der Geschichte der Knastkämpfe der BRD und DDR als auch zurzeit in Europa beispiellos ist.
GG/BO-Soligruppe Jena
Als Linksradikale und Anarchist_innen in Jena haben wir diese Entwicklung diskutiert und gemeinsam beschlossen, eine Unterstützungs- und Solidaritätsgruppe für die GG/BO zu gründen. Wir konnten an die Erfahrungen anknüpfen, die die Bewegung in Jena von Januar bis Juli 2014 gemacht hat, als unser Genosse Josef nach einer antifaschistischen Demonstration in Wien ein halbes Jahr in U-Haft saß (Knasterfahrung und Soliarbeit) und wir konnten auf die Kontakte aufbauen, die die FAU Erfurt/Jena seit Sommer 2015 in die JVAs Tonna und Untermaßfeld hatte. Kurz nach einer Info-Veranstaltung Olli Rasts Anfang November 2015 in Jena gründeten wir uns als Gruppe.
Beginn des Hungerstreiks in der JVA Butzbach
Kurz darauf, am 1. Dezember 2015 begannen die widerständigen Gefangenen der JVA Butzbach, ihren Hungerstreik. Nachdem den Gefangenen ein Dokument in die Hände gefallen war, aus dem hervorging, wie verschwindend gering ihre Lohnkosten im Produktionsprozess der JVA-Betriebe ist, formulierten sie einen Forderungskatalog und schickten ihn Ende September 2015 an das hessische Justizministerium. Zudem unterzeichneten über 100 Gefangene eine entsprechende Petition, angelehnt an das Selbstverständnis der GG/BO. Sie bestanden auf ein Gespräch mit der hessischen Justizministerin (Kühne-Hörmann, CDU) bis zum 1. Dezember 2015, ansonsten würden sie in den Hungerstreik treten. Der Staat reagierte durch Ignoranz und Repression. Der GG/BO-Sprecher in Butzbach Jürgen Rößner wurde noch vor dem 1. Dezember für jeweils 23 Stunden am Tag eingeschlossen, Briefe wurde um fast zwei Wochen verzögert. Am 30. November 2015 verabschiedete Hessen ein neues Landesstrafvollzugsgesetz, in dem die Forderungen der Gefangenen und der GG/BO vollkommen ignoriert wurden, und machte die Haltung der Behörden so überdeutlich. Am 1. Dezember begann so der Bummel- und Hungerstreik. Unsere Einschätzung dazu war damals:
„Wir halten den Hungerstreik für einen sehr wichtigen Kampf. Es ist der erste kollektive Hungerstreik von Gefangenen in Deutschland seit mindestens 20 Jahren, es ist der erste offene Konflikt der neuen Gefangenenbewegung seit der Gründung der Gefangenengewerkschaft GG/BO im Mai 2014 und es ist eine Eskalation des Klassenkampfs innerhalb des deutschen gefängnis-industriellen Komplexes.“[1]
Die Unterstützungskampagne in Jena
Dementsprechend reagierten wir umgehend. Wir organisierten am 30. November, einen Tag vor Beginn des Hungerstreiks, eine Info-Veranstaltung, in der wir nicht nur den anstehenden Kampf der Gefangenen in unserer Stadt bekannt machen wollten, sondern mit den Anwesenden auch praktisch über eine mögliche Unterstützungskampagne sprechen wollten. Zwei Tage darauf, am 2. Dezember, luden wir die organisierten Gruppen und alle Interessierten zu einem offenen Soli-Plenum ein. Ziel war es, Gruppen und Menschen aus unserer Stadt einzubinden und den Hungerstreik vor Ort als Bewegung kollektiv zu unterstützen. Sowohl bei der Veranstaltung als auch beim Plenum war die Resonanz äußerst gering und so standen wir im Grunde alleine da. Am 4. Dezember machten wir eine Kundgebung[2] im Stadtzentrum von Jena, auf der sich uns einige Genoss_innen anschlossen. Wir verteilten über zwei Stunden lang ca. 350 Flugblätter. Am selben Tag veröffentlichten wir einen englischsprachigen Aufruf zur internationalen Solidarität[3] und schickten ihn an Genoss_innen nach Osteuropa und Südosteuropa. Als Antwort darauf ging leider erst nach Beendigung des Hungerstreiks eine Solidaritätsadresse des „Solidaritätsfonds für die gefangenen und verfolgten Kämpfer“ an Jürgen Rößner, den GG/BO-Sprecher der JVA Butzbach, ein. Der Solidaritätsfonds ist die Gefangenensolidaritäts-Struktur der anarchistischen Bewegung Griechenlands und unterstützt materiell sowie politisch Dutzende anarchistische und rebellische Gefangene. Am 10. Dezember verbreiteten wie unseren „Aufruf an die linksradikale Bewegung in Deutschland”[4], in dem wir zur Unterstützung des Hungerstreiks durch die Bewegung aufriefen. Wir hatten noch weitere Aktionen und einen Briefeschreib-Abend an Gefangene für den 14. Dezember geplant.[5] Am 10. Dezember jedoch erfuhren wir vom plötzlichen Ende des Hungerstreiks zum 11. Dezember. Zum Tag der Beendigung des Hungerstreiks störte eine Gruppe von Menschen die Einweihung des neuen Jenaer „Gefahrenabwehrzentrums“ in Solidarität mit den Gefangenen und im Widerstand gegen die staatliche Repression. Damit war die Kampagne zur Unterstützung des Hungerstreiks der Gefangenen der JVA Butzbach in Jena vorbei.
Verlauf und Ende des Hungerstreiks
Entsprechend der repressiven Bedingungen des Knastregimes bekamen wir kaum Neuigkeiten oder verlässliche Informationen über und von den Gefangenen in Butzbach. Jürgen Rößner sprach anfangs von 200 Beteiligten am Bummel- und Hungerstreik, einige Zeitungen von über 100, die Behörden vermeldeten fünf Gefangene, die die Anstaltsnahrung verweigerten. Irgendwo dazwischen wird sich die Beteiligung bewegt haben. Was in diesen Tagen genau passiert ist, ist uns bis heute unbekannt. Am 10. Dezember besuchten dann zwei Abgeordnete der Hessischen Linkspartei-Landtagsfraktion die Gefangenen in der JVA Butzbach. Anschließend erklärten die Gefangenen, sie würden ihren Hungerstreik zum 11. Dezember beenden. Wir wissen nicht, was in diesem Gespräch diskutiert wurde. Auch die Genoss_innen vom Netzwerk für die inhaftierten Gefangenen und der GG/BO konnten uns diese Frage nicht beantworten. Das einzige, was wir wissen, ist, dass die Linkspartei-Abgeordneten sich mit den Gefangenen trafen, diese ihren Hungerstreik beendeten, die Linkspartei selbst sich aber öffentlich zu nichts verpflichtet hat, keine Versprechen gemacht hat und keine Unterstützung angekündigt hat. Uns scheint, dass die Linkspartei, wie auch sonst und wie auch jede andere linke Partei, wieder einmal einen konfrontativen Kampf von unten deeskaliert hat und damit ihre strukturellen Rolle in der Verwaltung der gesellschaflichen Widerstände durch Einbindung und Zähmung im Sinne des Kapitals und des Staats erfüllt hat. Sowohl um hier mehr Klarheit zu erhalten als auch um den Austauschprozess auf Augenhöhe über die Gefängnismauern hinweg zu befördern, fänden wir einen kollektiven Auswertungstext der am Hunger- und Bummelstreik beteiligten Gefangenen der JVA Butzbach sehr hilfreich und wichtig.
Ergebnisse des Hungerstreiks
Der Hungerstreik war nicht erfolgreich. Dennoch hat er einiges erreicht. In der Pressemitteilung[6] der GG/BO aus Berlin wird auf die breite und wohlwollende Medienberichterstattung und den Neueintritt zahlreicher Gefangener in die GG/BO-Sektion der JVA Butzbach hingewiesen. Zudem glauben wir, dass die Gefangenen durch ihren offensiven Kampf erstens den Aufbau von Solidaritätsstrukturen außerhalb der Gefängnisse angetrieben haben und zweitens gezeigt haben, dass den Gefangenen kollektive Kampfformen zu Verfügung stehen und dass es möglich ist, sich auch hinter Gittern zu wehren. Damit haben sie Fakten geschaffen.
Wir, das Netzwerk für die Rechte inhaftierter Arbeiter_innen und die GG/BO
Noch vor Beginn des Hungerstreiks kamen wir in Kontakt mit dem hessischen „Netzwerk für die inhaftierter Arbeiter_innen“[7] und arbeiten seitdem mit ihm zusammen. Darüber nahmen wir an Debatten teil, wurden informiert, bekamen Soli-Material und konnten uns an gemeinsamen Prozessen beteiligen. Das Netzwerk organisierte zum 1. Dezember eine Kundgebung und am 5. Dezember eine kleine Demo vor der JVA Butzbach. Zeitgleich standen wir im Austausch mit der GG/BO-„Zentrale“ in Berlin. In dieser Zusammenarbeit zeichneten sich unterschiedliche Herangehensweisen ab. Während in Hessen und Berlin aktiv Pressearbeit geleistet und Pressemitteilungen rausgebracht wurden, versuchten wir, durch eigene Texte, Veranstaltungen und eine Kundgebung Gegeninformation von unten aufzubauen. Während das Netzwerk und die GG/BO sich ausschließlich auf die Bedingungen der Ausbeutung der gefangenen Arbeitskraft bezogen, war es uns wichtig, neben einem aggressiven klassenkämpferischen Diskurs immer auch eine allgemeine Kritik an der gesellschaftlichen Institution Gefängnis einzubauen und den Kampf gegen den Knast an sich in Aussicht zu stellen. Das hat zu einigen Diskussionen zwischen uns, dem Netzwerk und der GG/BO geführt, stellt für uns aber auf keinen Fall ein Hindernis für die gelaufene und künftige Zusammenarbeit dar. Im Gegenteil, wir hoffen, dass wir die aufgebauten Beziehungen und den Austausch untereinander in den kommenden Monaten noch weiter vertiefen und ausbauen können.
Unsere Perspektive für Jena
In Jena ist es uns gelungen, innerhalb unserer Bewegung als auch in der Stadt die GG/BO und den Hungerstreik etwas bekannter zu machen und eine allgemeine Kritik am Knast und dem gefängnis-industriellen Komplex der BRD zu verbreiten. Mit ein paar wenigen Genoss_innen konnten wir vor Ort zusammenarbeiten. Unser Versuch aber, über Einladungen und offene Veranstaltungen andere Gruppen der Bewegung an einer offensiven Solidaritätskampagne zu beteiligen und diese damit zu verbreitern, hatte keinen Erfolg. Wir werden uns dahingehend weiter bemühen, mit anderen Gruppen und Genoss_innen in Jena in Kontakt zu treten, engere Beziehungen zueiander aufzubauen und miteinander zu kooperieren.
Für den weiteren Aufbauprozess der Gefangenen- und gefangenensolidarischen Bewegung werden wir ab Januar 2016 folgende langfristige Aufgaben angehen. Wir werden jeden zweiten Montag im Monat einen Briefeschreib-Abend an Gefangene im Infoladen veranstalten. Wir werden unregelmäßig Veranstaltungen zu Knastkritik und Gefangenenkämpfen organisieren. Wir werden viel Zeit und Ressourcen in den Aufbau unserer Strukturen innerhalb und außerhalb der Thüringer Gefängnisse stecken, d.h. den Austausch mit unseren Genossen in der JVA Untermaßfeld und JVA Tonna befördern, uns das entsprechende jurstische Wissen anarbeiten, mit Soligruppen in Ostdeutschland vernetzen und den GG/BO-Aufbauprozess mittragen, vor anderen JVAs in Thüringen flyern und schauen, dort mit Gefangenen in Kontakt zu treten.
Unsere Perspektive für die GG/BO
Der Hungerstreik der Gefangenen der JVA Butzbach hat uns gezeigt, dass die Kämpfe der Unterdrückten oft völlig unabhängig von und entgegen strategischer Debatten ausbrechen. Da hilft alles nichts. Solche Momente müssen in ihrer Wichtigkeit von uns als Bewegung verstanden werden und wir müssen es schaffen, angemessen und schnell zu reagieren. Da braucht es nicht immer eine Riesenkampagne, sondern viele kleinere Aktionen in verschiedenen Städten tun es auch oder vielleicht sogar besser. Zweitens müssen wir anerkennen, dass die bisherigen gefangenensolidarischen Strukturen (die GG/BO in Berlin, das Netzwerk in Hessen, wir in Jena) klar überfordert waren und dass von Seiten der breiteren linksradikalen / antiautoritären Bewegung weder ein größeres Interesse an den Ereignissen noch Eigeninitiative zur Unterstützung des Hungerstreiks zu verzeichnen war. Drittens haben wir gesehen, dass innerhalb des Spektrums, das die GG/BO unterstützt, unterschiedliche Ansätze in Analyse und Praxis vorherrschen.
Wir haben die folgenden Schlussfolgerungen gezogen. Wir müssen unsere eigenen gefangenensolidarischen Strukturen festigen und ausbauen und Genoss_innen in anderen Städten motivieren, neue Strukturen aufzubauen. Dabei müssen der direkte Kontakt und Austausch auf Augenhöhe mit den Gefangenen im Vordergrund stehen. Wir müssen uns stärker bemühen, künftig andere Gruppen und Genoss_innen in wichtige Auseinandersetzungen der Gefangenenbewegung miteinzubeziehen. In all dem schreiben wir das „autonom“ in der Selbstbeschreibung der „autonomen basisnahen Gewerkschaft der Gefangenen“ groß. Wir denken, dass langfristig nur eine selbstbestimmte und autonome Gefangenen-Solidaritätsbewegung, d.h. eine von staatlichen und parastaatlichen (NGOs, Parteien, Stiftungen) Apparaten unabhängige Bewegung, Veränderungen erkämpfen und anschließend auch verteidigen kann. Das heißt, der Fokus sollte auf dem Aufbau eigener Strukturen, auf Gegeninformation und konfrontativen Aktionen und Kampagnen liegen. In diesem Rahmen muss das taktische und strategische Verhältnis zu Bündnispartner_innen und gerade zur Linkspartei offen untereinander diskutiert werden. Gerade in Thüringen und den anderen ostdeutschen Bundesländern ist das eine sehr heikle Angelegenheit. Denn die Linkspartei stellt hier nicht nur die Fortsetzung der SED da, die 40 Jahre lang die staatskapitalistische Diktatur der DDR, ihre Spezialkinderheime, Jugendwerkhöfe (Torgau) und Knäste (Bautzen) verwaltet hat. Sie ist in Thüringen seit September 2014 auch an der Regierungsmacht und damit für die Verwaltung der Lager und Gefängnisse als auch für die Repression gegen die GG/BO in den JVAs Tonna und Untermaßfeld hauptverantwortlich.
Schlussendlich glauben wir, dass die GG/BO und ihre Auseinandersetzungen eine einmalige Gelegenheit darstellen, sich mit den inhaftierten Arbeiter_innen auf einen gemeinsamen Kampf für bessere Bedingungen im gefängnis-industriellen Komplex und gegen den Knast allgemein einzulassen und so einen nicht unerheblichen Beitrag zur Eskalation des Klassenkampfs von unten in der BRD zu leisten.
Unterstützt die Gefangenenbewegung bis zur kompletten Knastzerlegung!
GG/BO-Soligruppe Jena
Januar 2015