Am 8. März demonstrierten wir gemeinsam in Solidarität mit den inhaftierten Frauen* und Gewerkschafterinnen in der JVA Chemnitz. Zwei Wochen später gab die Soligruppe der GG/BO in Leipzig bekannt, dass die JVA Chemnitz nun Mitgliederversammlungen der GG/BO zulässt: “Die JVA Chemnitz stellt der GG/BO jeden 2. Freitag einen Raum zur Verfügung, um dort im kleinen Kreis über die Belange der inhaftierten GewerkschafterInnen sprechen zu können.”
Im Foglenden dokumentieren wir den gemeinsamen Demo-Bericht der Soligruppen Jena und Leipzig:
Bericht zur Demo zur Frauen-JVA Chemnitz
von den Soligruppen der Gefangenengewerkschaft (GG/BO) aus Jena und Leipzig
Viel Unterstützung
Nach dem Aufruf der GG/BO-Soligruppe Jena zu einer Demonstration anlässlich des Frauen*kampftags, dem 8. März, zur Frauen*-JVA Chemnitz hat sich nicht nur die Presse eingeschaltet (Chemnitzer Morgenpost, Radio Blau, Radio Corax), sondern es haben sich auch andere Gruppen und Organisationen angeschlossen. Darunter die GG/BO-Soligruppe Leipzig, die Jenaer Gruppe Pekari, Rhythms of Resistance (RoR) aus Jena, die FAU-Syndikate bzw. -Sektionen aus Jena, Chemnitz und Dresden und (anarcha-)feministische Initiativen aus Chemnitz und Leipzig. Am Tag selbst fanden sich ab 14 Uhr insgesamt 170 Leute aus Jena, Dresden, Leipzig, Chemnitz, Plauen und Berlin auf dem Vorplatz des Hauptbahnhofs Chemnitz zusammen.
Nach Redebeiträgen von der Soligruppe Jena über die GG/BO und die Gründe für die Demo, der FAU Chemnitz über die Solidarität mit den inhaftierten Arbeiter*innen und der FAU Dresden zum transnationalen Frauenstreik begann die Demo. Während der Demo spielte die politische Sambagruppe und lief Musik vom Lautsprecherwagen. Es wurden aber auch viele Slogans gerufen, erfreulicherweise auch neue Slogans mit gefangenengewerkschaftlicher Botschaft**. Nach zweieinhalb Stunden und einer kleinen Pause am Campus Technische Universität, wo sich Chemnitzer Feministinnen der Demo anschlossen, kam sie an der Frauen-JVA Chemnitz am Südring an.
Begeisterung unter den inhaftierten Frauen
Die Frauen* in der JVA Chemnitz wurden von der dortigen Sprecherin der GG/BO, Nancy Rheinländer, schon Wochen im Voraus von der Demo informiert. In einem letzten Brief, der am 8. März bei der Jenaer Soligruppe ankam, schrieb sie, dass sich alle schon sehr freuten: „Dein Heft mit den Aufrufen habe ich einen Tag später erhalten. Habt ihr schön zusammengestellt. Ich find das echt so mega toll von euch, was ihr da auf die Beine gestellt habt. Ist echt Wahnsinn, dass ihr das macht und vor allem, dass sich so viele Leute anschließen. Ich und auch alle Anderen sich echt mega gerührt von dem ganzen Interesse für uns. Das ist echt ein starkes Zeichen und wir freuen uns alle mega darauf!“
Als die Demo dann ankam, standen viele Frauen an den Fenstern ihrer Zellen. Trotz der Entfernung – denn das Ordnungsamt gestattete uns nicht, bis zum Eingang der JVA zu gehen, sondern verbannte uns auf die gegenüberliegende Seite des Südrings – konnten wir ihre Rufe hören. Sie hängten ein Laken aus dem Fenster, warfen Klopapier und Papier aus ihren Fenstern in die Luft und zündeten Papierschnipsel an. Die Demo beantwortete das mit Rufen, Fahnen-Schwenken, Musik von der Samba-Gruppe und aus den Lautsprechern. Das war für alle ein sehr bewegender Moment. Es folgten Grußworte von David Scholz, dem GG-Sprecher in der JVA Dresden, Manuel Matzke, dem GG-Sprecher in der JVA Zeithain und Redebeiträge von Kolleg*innen, u.a. zur Situation von Schwangeren und Müttern in der JVA, mehrere feministische Aufrufe und Grüße von der FAU Chemnitz. Vor Ort wurden Dutzende Postkarten an die GG-Sprecherin in der JVA geschrieben, die am selben Abend noch abgeschickt wurden.
Staatliche Verfolgung und Polizeigewalt
Schon im Vorfeld der Demo mussten wir gegen eine niedrigschwellige Repression ankämpfen. Beim sogenannten „Kooperationsgespräch“ mit dem Anmelder der Demo zeigte sich die Versammlungsbehörde äußerst nervös und ließ durchblicken, dass sie von der Demo gar nicht begeistert war. Der Ordnungsbürgermeister hetzte dann in der Chemnitzer Morgenpost gegen unser Anliegen. Angesichts von angeblichen Krawallen auf vergangenen GG/BO-Veranstaltungen werde er sich das genau anschauen. Krawalle hat es nie gegeben – eine blanke Lüge, die die Presse dann revidieren musste ! Das Ordnungsamt wollte uns den Auflagenbescheid erst kurz vor dem 8. März zuschicken, damit wir gegebenenfalls nicht mehr dagegen hätten vorgehen können. Wir mussten die rechtzeitige Zusendung mit Hilfe eines Anwalts erzwingen.
Dieser Konfrontationskurs von Seiten der Behörden setzte sich am Tag selbst durch das Eskalationskonzept der Polizei fort. Ein vollkommen unverhältnismäßiges Aufgebot von BFE-Einheiten begleitete und schikanierte die Demo von Anfang bis Ende. Noch vor der Demo fragte jemand einen Polizisten, was denn los sei: „Fußball?“ Die Antwort: „Ne, noch schlimmer: Frauentag. Demo.“ Ein Order sollte nicht zugelassen werden, weil er einen Führerschein, statt eines Personalausweises als Ausweisdokument vorlegte. Die Versammlung drohte von unserer Seite aufgelöst zu werden, weil sich die Polizei, auch unter Verweis auf die jüngsten Urteile zur Videografie, weigerte das Filmen einzustellen.
Die Polizei suchte nach jedem Anlass, gegen die Demo vorzugehen. Eine scheinbar alkoholisierte Passantin schloß sich der Demo an. Nach wiederholtem Hinweis unserer OrderInnen bezüglich einer Glasflasche, nicht zuletzt unter dem Druck der Polizei, wurde sie von der Versammlung ausgeschlossen. Unter dem Vorwurf einer Straftat (Beamtenbeleidigung), mußte sie sich einer entwürdigenden Personalienaufnahme unterziehen. Das brachte den Demonstationszug bis zum Abschluß der Maßnahme zum Halten. Während der Dauer der Kundgebung gegenüber der JVA wurde der Anmelder unter Druck gesetzt, möglichst bald fertig zu werden. Polizisten kommentierten die Redebeiträge spöttisch und machten sich über die Vortragenden lustig. Darauf vom Anmelder angesprochen, wurde er seitens der Polizei gefragt ob die Fahrerin des Lautsprecherwagens „im Besitz einer gültigen Fahrerlaubnis sei“.
Ferner wurde einem Demonstrationsteilnehmer während der Kundgebung vor der JVA die Rückkehr zur selben verweigert, nachdem er sich kurzweilig entfernt hatte. Nach Auflösung der Versammlung kam es zu einer kurzzeitigen Ingewahrsamnahme mit dem Vorwurf der Beleidigung. Die Aufregung nutze die Polizei um die Ansammlung aufzulösen. Sie umstellte dazu den Lautsprecherwagen und isolierte die dort stehenden Menschen vom Rest. Die Anmeldung einer Eilversammlung unter dem Motto „Gegen Polizeigewalt“ in Richtung Innenstadt wurde verweigert, ebenso wie der Lautsprecherwagen festgehalten wurde, solange die Lautsprecher noch auf dem Dach montiert waren. Die solidarisch wartenden Menschen, darunter auch eine sehbhinderte Person, wurden daraufhin von teilweise vermummten und sich sichtlich erfreuten Polizisten und Polizistinnen einige Hundert Meter über die Reichenhainer Straße geprügelt. Dabei wurden u.a. Fahnen und andere Utensilien der Demonstrationsteilnehmer_innen entwendet bzw. auf umliegende Privatgrundstücke geworfen. Ein Journalist, der die Szenerie dokumentieren wollte, wurde von der Polizei körperlich angegriffen und trug leichte Verletzung an Händen und Schulter davon. Die Polizei sprach dem Journalisten gegenüber die Drohung aus, bei Nutzung des Fotomaterials aufgrund der Identitäsfeststellung gegen ihn vorgehen zu wollen, was wir als Einschränkung der Pressefreiheit werten.
Wir halten fest, dass die Versammlungsfreiheit in der BRD durch bürokratische Hürden, eine Vorverurteilung und niedrigschwellige Repression durch die Behörden im Vorfeld und von ihr erwünschter Polizeigewalt und -schikanen während der Demo massiv eingeschränkt und bedroht ist. Organisator_innen sollen sich doppelt überlegen, ob sie so einen Stress auf sich nehmen. Und Demonstrationsteilnehmer_innen mit Kinderwagen, Kindern, körperlicher Einschränkung oder Gewalterfahrungen sollen sich dreifach überlegen, ob sie das Gewalt- und Verletzungsrisiko auf sich nehmen. So versucht der Staat, gegen die sozialen Bewegungen, selbstorganisierten Gewerkschaften und die radikale und feministische Szene vorzugehen.
Gerade Chemnitz sticht dabei besonders hervor. Mit einer Reihe von Einsätzen stellten Teile der Polizei immer wieder klar, wo sie stehen. Ohne Furcht vor Verfolgung durch die Justiz prügelten die Chemnitzer Beweissicherungs– und Festnahmeeinheiten (BFE) über Jahre hinweg immer wieder bei Demonstrationen auf Teilnehmer*innen ein oder zerstörten, wie am 25.1.2015, eine Lautsprecheranlage von „Chemnitz Nazifrei„. Solche Einsätze bezeichnet der Ordnungsbürgermeister als reibungslos und gibt damit den Anschein, dass die Aktivist*innen selbst schuld seien. Mit Kommtaren in der Lokalpresse versucht der Ordnungsbürgermeister immer wieder ein Bild zu erschaffen, das nicht auf (Versammlungs-)Recht beruht, sondern dem Wohlwollen seiner Behörde Rechnung trägt.
Es geht weiter!
Im Nachhinein müssen wir selbstkritisch anmerken, dass die Demo zu lang war. Das hatte zur Folge, dass nach der Auflösung nicht mehr viel Energie vorhanden war, um sich entschlossen gegen die Polizeigewalt bei der Abreise zu positionieren. Dennoch wurde darauf geachtet, dass keine Person allein den Nachhauseweg antreten musste. Alles in allem war die Demo ein starkes Zeichen an die inhaftierten Frauen und Gewerkschafterinnen, aber auch an alle Menschen, die sich draußen beteiligt haben. Wir hoffen, dass die neu entstanden Kontakte zwischen Drinnen und Draußen, das Interesse von Draußen und die Unterstützung der GG/BO von Seiten der FAU und anderen Initiativen anhalten. Eine dieser Solidaritätsbeziehungen ist die zur Schriftstellerin Stephanie Bart. Sie hat unsere Demo unterstützt und einen eigenen, sehr schönen Bericht dazu verfasst, auf den wir hier verweisen möchten. Der 8. März ist an jedem Tag: Frauen- und Gefangenensolidarität müssen Alltag werden!
Am 18. März, dem Tag der politischen Gefangenen, bietet sich dazu die Gelegenheit, bei einer Antirepressionskundgebung im Rahmen des Naziaufmarsches in Leipzig. Erscheint zahlreich!
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* mit dem Sternchen soll sowohl darauf hingewiesen werden, dass Frauen nicht als Frauen geboren, sondern dazu gemacht werden als auch dass sich verschiedenste Menschen als Frau begreifen und/oder als solche behandelt werden, z.B. Trans-Frauen, Inter-Personen und andere.
¹ queer ist eine Selbstbezeichnung all der Menschen, die nicht in das klassische Mann-Frau-Schema passen und sich auch nicht in andere Kategorien einordnen wollen.
² Trans sind Menschen, die sich einem anderen Geschlecht zugehörig fühlen, als ihnen bei der Geburt zugeordnet wurde.
³ Interpersonen sind Menschen, die nicht eindeutig einem Geschlecht zugeordnet werden können, also z.B. anatomische Merkmale beider anerkannter Geschlechter aufweisen. Sie werden oft noch als Säuglinge zwangsoperiert, um sie klar einem Geschlecht zuordnen zu können, und dabei verstümmelt.
** Slogans mit gefangengewerkschaftlicher Botschaft
Zwangsarbeit hat in Deutschland Tradition / Solidarität der Gefangenen-Union!
Gegen’s Kapital und staatliche Herrschaft / Solidarität der Gefangenen-Gewerkschaft!
Wir kämpfen zusammen, wir geben keine Ruh / G-G-B-O und F-A-U!