Für die ersatzlose Streichung von Art. 12 Abs 3 GG!
Am 23. Mai 1949, also heute vor 70 Jahren, trat in den westlichen Besatzungszonen das Grundgesetz in Kraft. Dieses ist anlässlich des runden Jahrestags nun in aller Munde. Wir möchten an dieser Stelle einen kurzen Beitrag aus gefangenen-gewerkschaftlicher Perspektive einbringen.
Das Grundgesetz wird in den Kommentaren dafür gewürdigt, dass es einen grundsätzlichen Bruch mit dem nationalsozialistischen Regime darstelle. Das mag in zahlreichen Bereichen stimmen (z.B. in Bezug auf die Grundrechte Art. 1-19, die Stärkung des parlamentarischen Prinzips), aber in Bezug auf die Gefangenenarbeit, befindet es sich in Kontinuität zu allen vorhergehenden Regimen. So heißt es noch im Abschnitt der Grundrechte in § 12 Abs. 3 GG: „Zwangsarbeit ist nur bei einer gerichtlich angeordneten Freiheitsentziehung zulässig.“. Auf Grundlage dieser Bestimmung wurde die Zwangsarbeit – nun unter dem schöneren Begriff „Arbeitspflicht“ in § 41 – in das Strafvollzugsgesetz von 1977 übernommen. Mit der Föderalismusreform von 2006 wurde der Strafvollzug Ländersache und die Bundesländer machten ihre eigene Gesetze. Nur vier Bundesländer haben seitdem die Zwangsarbeit für Gefangene abgeschafft; in den restlichen zwölf besteht sie weiter.
Gerade nach der Erfahrung des Nationalsozialismus hätte die Zwangsarbeit für Gefangene abgeschafft werden müssen. Noch bevor der NS-Staat nämlich sein umfassendes Lagernetzwerk aufbaute und dann während des Kriegs Millionen von Zwangsarbeiter*innen nach Deutschland brachte oder verschleppte, hatte er unmittelbar nach 1933 das Gefängniswesen aufgebläht und Arbeitslager für Gefangene eingerichtet. Doch die Kontinuität des Gefängnisses als moderner staatlicher Institution und der Ausbeutung der inhaftierten Arbeitskraft scheint über alle Regime hinweg zu bestehen.¹
Mit dieser Kontitnuität muss endlich gebrochen werden: Lasst uns 70 Jahre Grundgesetz zum Anlass nehmen und die ersatzlose Streichung von Art. 12 Abs. 3 GG fordern!
Jena, 23. Mai 2019
Fußnote 1: Das zeigt auch das Beispiel der DDR. In Art. 137 der Verfassung der DDR von 1949 heißt es – im Vergleich zum Grundgesetz, das die Zwangsarbeit wenigstens offen und ehrlich benannte, – geradezu euphemistisch: „Der Strafvollzug beruht auf dem Gedanken der Erziehung der Besserungsfähigen durch gemeinsame produktive Arbeit.“ In der Realität bedeutete das nichts anderes als Zwangsarbeit für die Gefangenen des sozialistischen Staats.