Am 28. August 2018 wurde der Haftbefehl gegen einen der mutmaßlichen Mörder von Daniel H. aus Chemnitz u.a. vom Pegida-Führer Lutz Bachmann veröffentlicht. Schon zwei Tage später stellte sich heraus, dass ein Beamter der JVA Dresden den Haftbefehl abfotografiert und weitergeschickt hatte – und zwar aus Überzeugung. Der Vorfall macht deutlich, wie tief verankert faschistische Einstellungen in der JVA-Beamtenschaft sind.
Zu den Motiven des Leaks meldete der MDR: „Der Justizbeamte meldete sich zu den Vorwürfen über seinen Anwalt zu Wort. Für sein Vorgehen nannte er verschiedenen Gründe. Zum einen wolle er die Öffentlichkeit über das informieren, was geschehen ist und die Spekulationen beenden. Den Medien wirft er vor, den ‚tatsächlichen Tatablauf in Frage zu stellen, zu manipulieren oder auf einen ihnen jeweils genehme Art und Weise zu verdrehen.‘ Er beobachte jeden Tag, dass die meisten Menschen über die Veränderungen im Land belogen würden oder die Wahrheit nicht wahrhaben wollten. Zudem wolle er nicht mehr Teil einer schweigenden Masse sein, ‚sondern dafür sorgen, dass die Wahrheit, und ausschließlich die Wahrheit ans Tageslicht kommt.‘ Den Konsequenzen seines Handels sei sich der Beamte bewusst und er hoffe darauf, ein faires und rechtsstaatliches Verfahren zu bekommen.“
Er hat die Informationen also aus Überzeugung und in vollem Bewusstsein über die möglichen Konsequenzen an faschistische Führerfiguren wie Lutz Bachmann weitergeleitet. Aus dieser Tatsache wie auch aus der rechtspopulistischen Rhetorik, welche aus den Zitaten aus dem MDR-Beitrag deutlich wird, schließen wir, dass er selber faschistische Einstellungen teilt. Die GG/BO-Soligruppe Leipzig berichtete in ihrer PM sogar darüber, dass der JVA-Beamte vor der Veröffentlichung des Haftbefehls die Angelegenheit in einer Whatsapp-Gruppe mit 11 Kolleg*innen diskutiert hatte. Der MDR bestätigte daraufhin, dass nun Ermittlungen gegen 18 Beamte der JVA Dresden sowie 13 Disziplinarverfahren eingeleitet worden seien.
Da der Strafvollzug ein extrem abgeschlossener Apparat ist und Vorgänge und Vorfälle im Strafvollzug in der Regel streng unter Verschluss gehalten werden, ist es nur schwer möglich, faschistischen Gesinnungsstrukturen unter JVA-Beamten nachzugehen. So berichtet der Arbeitskreis kritischer Strafvollzug Münster in einer Broschüre zum Thema Rechtsextremismus im Strafvollzug von 2001, dass die Anfragen und Recherchen in hohem Maße von den Justizbehörden verunmöglicht wurden.
Trotz dessen gibt es aber immer wieder Berichte, welche nahe legen, dass faschistische Netzwerke in den Staatsapparaten, in diesem Fall in der Justiz und im Strafvollzug, bestehen. 2005 berichtete die TAZ von einem (ex-)NPD-Kader aus Berlin, der erfolglos versuchte, sich nach seiner Ausbildung zum Justizwachmeister in das Beamtenverhältnis einzuklagen. In Hessen gab es 2012 zwei Disziplinarverfahren gegen JVA-Beamte wegen rechtsradikaler Äußerungen. Im September 2016 untersuchten das niedersächische Justizministerium und die Staatsanwaltschaft Vorwürfe gegen mehrere Beamte der JVA Hannover, v.a. ausländische Gefangene misshandelt und rechtsextreme Einstellungen zur Schau getragen zu haben. Im März 2017 gab es eine kleine Anfrage im Baden-Württembergischen Landtag, deren Auslöser die angebliche Weitergabe von CDs mit rechtsextremen Inhalten von Beamten an Häftlinge war. Im März berichtete der damalige GG/BO-Sprecher in der JVA Torgau von Gewalt durch Beamte an ausländischen Gefangenen. Im selben Monat warfen zehn Abschiebehäftlinge Beamten der JVA Hannover vor, sie misshandelt und diskriminiert zu haben.
Es ist weiterhin kein Geheimnis, dass inhaftierte Neonazis in vielen JVAs ihre Ideologie offen ausleben können: Nazi-Symbolik, Feiern zum „Führergeburtstag“ am 20. April, Musik von Landser und anderen Neonazi-Bands usw. Diese Dinge sind eigentlich verboten, teils verfassungsfeindlich, werden aber immer wieder toleriert – von JVA-Beamten. Nicht toleriert hingegen wird alles, was JVA-Beamte und Justizangestellte auch nur ansatzweise als „links orientiert“ verstehen. So wurde beispielsweise der Ratgeber „Wege durch den Knast“ in vielen JVA‘s (allen voran im Bundesland Bayern!) verboten, obwohl er lediglich anstrebt, „wieder aus dem rechtlosen Objektstatus der Gefangenen des Staates auszubrechen und handlungsfähig zu werden.“
Faschistische Einstellungen unter JVA-Beamten und die Existenz faschistischer Netzwerke unter der Justizbeamtenschaft sind aus mehreren Gründen besorgniserregend. Zum einen befinden sich JVA-Beamte in einer krassen Machtposition gegenüber den Gefangenen, die ihnen oft hilflos ausgeliefert sind. Davon zeugen die oben erwähnten Anschuldigungen gegenüber JVA-Beamten, ausländische Gefangene misshandelt zu haben.
JVA-Beamte werden im Rahmen des laufenden Umbaus zu einem autoritären Regime außerdem eine wichtige Rolle spielen. Eine der Kräfte, die diesen Umbau anstrebt, ist die AfD. AfD-Führerfigur Björn Höcke bestimmt die Bewegung, die diesen Prozess antreiben soll, als „Volksopposition“, die wiederum aus drei Fronten bestehe: dem parlamentarischen Arm (AfD), der Straßenbewegung (Pegida) und drittens aus den „frustrierten Teilen des Staats- und Sicherheitsapparates“. Der geleakte Haftbefehl zeigt, dass diese Strategie aufgeht und lässt vermuten, wie sich die JVA-Beamtenschaft im Verlauf der angestrebten Systemtransformation hin zu einem autoritären Regime verhalten wird.
Diese Verhältnisse im Strafvollzug sind selbstverständlich nicht von denen außerhalb der Strafanstalten zu betrachten. „Herrschende“ und „Beherrschte“ gibt es überall in der Gesellschaft und die faschistische Bewegung ist generell im Aufwind – mit entsprechenden Ablegern innerhalb verschiedenster Staatsapparate. Der Zusammenhang der Faschisierung insbesondere von Gesellschaft und Gefängnis ist in diesem Fall ein doppelter: Zum einen ist das Gefängnis eine totale Institution des Staates und spiegelt als solche die Umstrukturierung von Staat und Gesellschaft wieder. Zum anderen muss gerade das Gefängnis auf ein autoritäres Regime vorbereitet werden, denn ein solches benötigt die entsprechenden Repressionsorgane und -einrichtungen, um sich gegenüber sozialen Unruhen und politischer Opposition abzusichern. Und dieses Regime wird sich nicht spontan aufstellen, sondern es entwickelt sich innerhalb der bestehenden Strukturen.
Wenn wir uns den (vor)letzten Regimewechsel in Deutschland und zwar die Machtübernahme der Nationalsozialisten anschauen, lässt sich feststellen, dass ein Großteil der Gefängnisbeamten von den untereren bis zu den oberen Rängen noch während der Weimarer Republik die damalige Gefängnisreform abgelehnt hatte und anschließend die Machtübernahme der NSDAP und deren Forderungen nach einem härteren Strafvollzug begrüßte. Sie waren zunächst keine NSDAP-Mitglieder. Viele waren nationalkonservativ (und manche sogar sozialdemokratisch!) eingestellt, sympathisierten aber mit den autoritären und repressiven Vorstellungen der NSDAP für den Strafvollzug und traten nach 1933 den nationalsozialistischen Organisationen bei. Nur wenige Beamte mussten folglich ausgetauscht werden, ansonsten hatte der Vollzugsapparat eine relativ nahtlose Kontinuität von der Weimarer Republik in das sogenannte „Dritte Reich.“ Das Ergebnis: 1934 waren nach Massenverhaftungswellen bereits 100.000 Menschen in den NS-Gefängnissen eingesperrt und es wurden mit den neuen reichsweiten Gefängnisvorschriften die meisten progressiven Gefängnisreformen der Weimarer Zeit zurückgenommen und ein extrem harter Strafvollzug eingeführt, der v.a. in den frühen 30er Jahren einen zentralen Bestandteil der NS-Terrorherrschaft darstellte.
Wir beobachten derzeit ähnliche Tendenzen. Schon jetzt findet ein autoritärer Staatsumbau statt (Verschärfung von §§ 113 und 114 StGB, Schutzhaft und andere Neuerungen der neuen Polizeiaufgabengesetze etc.), schon jetzt ruft die AfD, immerhin drittstärkste politische Kraft, nach einem strengeren Strafvollzug und schon jetzt zeigt ein Teil der JVA-Beamten offen seine faschistische Einstellung. Wann wenn nicht jetzt ist Zeit für einen breiten Widerstand gegen diese Entwicklung?
In Zeiten wie diesen ist linksradikale Bewegung wichtiger denn je. Wir dürfen uns jetzt nicht vom Repressionsapparat bei unserer Arbeit und bei unseren Aktionen einschüchtern lassen, selbst wenn wir alle wissen, dass schon unsere kleinsten Handlungen kriminalisiert und dämonisiert werden. Das können wir nur schaffen, wenn wir uns untereinander jederzeit solidarisch verhalten. Innerhalb der Knäste haben die Gefangenen einen Anfang gemacht, haben ihre eigene Gewerkschaft aufgebaut, haben politische Forderungen gestellt, klagen sich durch die Gerichte und wehren sich in zahlreichen JVAs gegen die Maßnahmen der Anstalten. Auch wir draußen verfolgen die Entwicklungen, protestieren gegen Gesetzesverschärfungen und Knäste, unterstützen inhaftierte Freund*innen und kämpferische Gefangene und organisieren den Widerstand gegen die anhaltende Faschisierung von Staat und Gesellschaft. Schließen wir uns nun zusammen und kämpfen gemeinsam: Kein Knast ohne GG/BO und ihre Soligruppe! Zusammen gegen jede Form von Unterdrückung, Herrschaft und Repression!
Soligruppen Jena, Berlin, Leipzig und Köln der GG/BO
Fußnoten