Vor ziemlich genau neun Jahren, im Juli 2010, musste ein Untersuchungshäftling einen Tag nach seiner Überstellung in die JVA Tonna sterben – isoliert in einer Sonderzelle und über Stunden gefesselt. Anderthalb Jahre später wurden alle Verfahren eingestellt, es kam nie zu einer Anklageerhebung. Die Soligruppe Jena der Gefangenen-Gewerkschaft fordert nun eine wirkliche Aufklärung ein und ruft darüber hinaus alle Beteiligten auf, an einer unabhängigen Aufklärung mitzuwirken.
Ein langsamer, grausamer Tod…
Am 10. Juli 2010 wurde ein 32-jähriger, polnischer Mann wegen des Verdachts auf Ladendiebstahl als Untersuchungshäftling in der thüringische JVA Tonna eingesperrt. Nachdem er in seiner Zelle randaliert habe, wurde er in den videoüberwachten „besonders gesicherten Haftraum“ (BGH) gesteckt und gefesselt. Dabei sei er von einem Sanitäter untersucht worden, wobei es keine Auffälligkeiten gegeben habe. Ob es sprachliche Barrieren gab und ob ein Dolmetscher angefordert wurde, ist unbekannt. Die Beamten ließen den Gefangenen bei sehr hohen Außentemperaturen von bis zu 35 Grad Celsius (Wetterstation Dachwig, siehe wetterkontor.de) über zwölf Studenten gefesselt im BGH, ohne zu lüften, ohne zu kühlen und ohne ihm ausreichend zu trinken zu geben. Erst als der Gefangene sich nicht mehr bewegte, riefen sie den Notarzt. Der Gefangene wurde in das Krankenhaus in Bad Langensalza eingeliefert, wo er kurz darauf starb.
Ende Juli 2010 erklärte dann das Ministerium, dass der Gefangene nach bisheriger Diagnose an einer „schwerwiegenden Fehlregulierung der Körpertemperatur“, d.h. an Überhitzung, gestorben sei und dass ein Zusammenhang mit den Haftbedingungen nicht auszuschließen sei. Im Dezember 2010 bestätigte ein Gutachten des Instituts für Rechtsmedizin des Uniklinikums Jena, dass der Gefangene an Überhitzung gestorben war, die auf die mangelnde Versorgung durch die Beamten zurückzuführen sei.
… ohne Schuldige…
Als Reaktion auf den Fall wurde der Anstaltsleiter versetzt und ein Ermittlungsverfahren wegen fahrlässiger Tötung gegen mehrere JVA-Beamte angestrengt. Erst fünf Monate nach dem Todesfall wurde mit der Vernehmung der Beamten begonnen. Wiederum ein Jahr darauf, im Dezember 2011, wurden die Ermittlungen abgeschlossen. Gegen neun Beamte wurden die Verfahren mangels hinreichenden Tatverdachts und gegen einen Sanitäter gegen die Zahlung von 3000€ eingestellt. Letzterer habe zu spät den Notarzt gerufen. Zu einer Anklageerhebung oder zu einem Prozess war es also nie gekommen.
Während der Sache äußerten sich die politischen Vertreter mehrfach zum Sachstand. Am 13. August 2010 wurde auch der Ausschuss für Justiz-, Bundes- und Europaangelegenheiten umfassend informiert. Die Ergebnisse sind nicht öffentlich einsehbar.
… soll endlich aufgeklärt werden!
Mitgefangene aus der JVA Tonna reagierten damals sofort auf den Todesfall. Sie hatten verstanden, dass einer von ihnen umgebracht worden war und dass sie nun etwas unternehmen müssten. Sie schrieben unter anderem Anzeigen, kontaktierten die polnische Botschaft und setzten sich so für eine Aufklärung ein. Sie berichten außerdem von Ungereimtheiten, z.B. von Blutspuren, die auf körperliche Gewalteinwirkung hinweisen.
Als Soligruppe Jena fordern wir nun endlich eine wirkliche Aufklärung der Ereignisse: Ein Mensch in einer psychischen Ausnahmesituation wird an einem extrem heißen Tag zwölf Stunden in einer Zelle abgesondert und gefesselt und in der Zeit wird weder gelüftet, noch gekühlt, noch bekommt er genug zu trinken. Er stirbt. Die Ermittlungen, die eingeleitet werden, werden alle eingestellt, niemand wird angeklagt, niemand wird verurteilt. Die Beamten des Staates konnten ein weiteres Mal ungestraft töten.
Die Forderung nach Aufklärung geht an den Staat. Zeitgleich wollen wir eigene Untersuchungen anstellen. Wir rufen alle damaligen Mitgefangenen, JVA-Beamten und sonstigen Funktionsträger, Pfleger und Ärzte des Krankenhauses, Polizisten, Parlamentsangehörigen, Botschaftsvertreter, Journalisten und sonstigen Beteiligten dazu auf, sich mit uns in Verbindung zu setzen und an der unabhängigen Aufklärung der Ereignisse mitzuwirken. Unser Ziel ist es, zum zehnjährigen Todestag des Gefangenen einen umfassenden Bericht vorzulegen und so dem getöteten Gefangenen endlich zu seinem Recht zu verhelfen. Wir sehen diese Bemühungen als einen Teil des doppelten Kampfes gegen die staatliche Willkür gegenüber Gefangenen und gegen die straffreien Morde durch Polizisten und andere Staatsbeamte.
Jena, 14. Juli 2019
Quellen: Thüringer Allgemeine vom 26.7.2010 und 11.12.2010; Ostthüringer Zeitung vom 19.1.2012; t-online.de vom 11.12.2011; Thüringer Landtagskurier vom August/September 2010.